Der Prinz erzählt –
die wahre Geschichte
Wie das alles damals anfing… ich hätt’es mir ja denken
können, aber nein…also der Reihe nach: Wie ich in den Brunnen kam, weiß ich
nicht mehr…war da jedenfalls drin und gar nicht mal so unzufrieden, die
tägliche Ration Fliegen besorgte ich mir nach ein wenig Übung mit der nötigen
Routine, ab und zu war ein richtig dicker Brummer dabei…mmhhhh…ich schwamm gern
meine Runden und überhaupt…hatte meine Ruhe, bis mir diese blöde Kugel doch
tatsächlich beinahe voll auf den Kopf geknallt wäre. Puhh, dachte ich, das war
knapp. Und dann hörte ich sie auch schon flennen und zicken… meiheine schöhöne
Kuhugel, schnief schnief, diehie willhill ichhich wiehieda hahaben… Konnte man
kaum aushalten dieses Geheule und Gekreische. Ich fasste mir also ein Herz und
rief so laut ich konnte, kannste haben, hol ich dir. Schlagartig war
schluckartige Ruhe. Ja? Ehrlich? Ich: Na klar! Was gibste mir dafür? Und dann
zählte sie alle möglichen Reichtümer auf, wäre ich dabei bloß geblieben und
drauf eingegangen, ich hätte jetzt alle möglichen Reichtümer und meine Ruhe. So
kam es anders, ich übertrieb mal wieder und forderte das Unmögliche. Klar
willigte sie ein, wollte ja ihre teure Kugel zurück. Und schwupps beförderte
ich das Ding nach oben. Ohne mir zu danken zog sie von dannen. Das ärgerte
mich. Nächsten Tag, ich hinterher, an der Tür geklopft, padautz, sie macht auf
und hastenichtgesehn wirft mir die Tür an den Kopf. Auaua. Lieg ich da auf dem
Rücken, mir tut alles weh, hör ich ihren alten Herrn poltern, von wegen was sie
versprochen hätte, solle sie halten undsoweiter. Kurze Zeit später kommt die
Triene zurück, beugt sich über mich, hatschiputzi, igittigitt. Tür ist ja auf,
ich rein, sofort an den Tisch, erstmal vom Tellerchen dem goldenen gefuttert,
mampf. Bin ich schläfrig jetzt? Ja, bin ich, will ich in ihr Bettchen, hatte
sie ja versprochen, juchhuuu. Wir also beide auf ihr Zimmer, ich brauchte
naturgemäß etwas länger, sie erwartete mich schon…und…ja, genau: Jetzt packt
mich die kleine Zicke mit zwei spitzen Fingern und schleudert mich mit voller
Wucht gegen eine Wand. Platsch! Ihren Gesichtsausdruck dabei werde ich niemals
wieder vergessen, total gepresste Lippen und Zorn, Wut und Gier in den Augen.
Mir tat mal wieder alles weh, und wie ich grad noch so meine amphibischen
Knochen zusammenzählen will, da, ja, da passierte es… ich bekam meine alte
Gestalt wieder, war wieder der alte Prinz Herzensbrecher, geschmeidig wie
immer. Huuuch war die kugelige Schönheit jetzt auf einmal freundlich, wollte mich
jetzt natürlich sofort in ihrem Bettchen behalten, hatte sie ja ihrem Vater
versprochen. Zu allem Unglück kam der auch noch gleich zur Tür herein nach dem
Rechten sehen und so. Wir mussten natürlich heiraten dann sofort. Das
Königreich des Alten wollte ich nicht, hatte ja mein eigenes, das mein Heinrich
mir verwaltet hatte… Und so fuhren wir dann zu meinem Schloss. Ja, mein
Schloss, 143 Zimmer, 27 Badezimmer, zehn Speisekammern, 300 Lakaien, 12 Köche,
ach was lebte ich schön damals. Ja, und dann zog sie ein. Heinrich war zunächst
fröhlich, freute sich unbändig, dass ich wieder daheim war…Wir versuchten
zunächst eine normale Königsfamilie zu sein, die Kugelige und ich. Aber jedes
Mal abends, wenn es zu Bett ging, wollte sie mich an die Wand klatschen, hatte
schon den ganzen Tag diesen gierigen Blick in den Augen, ganz zu schweigen von
den gepressten Lippen, die man überhaupt nicht mal so zwischendurch eben küssen
konnte, wie das bei frisch Verliebten so üblich ist. Nein! Jeden Abend musste
ich auf einen Stuhl steigen, sie gab mir einen Schubs und ich flog mit Schwung
gegen die Wand. Ja, was wollte sie denn? Ich war doch schon Prinz, König und
ganz Mann. Ich hielt das einfach nicht mehr aus und vertraute mich meinem
treuen Heinrich an. Der wusste Rat und kannte eine Hexe. Wir suchten sie auf,
und was soll ich euch sagen? Jetzt sitze ich wieder in einem schönen Brunnen,
fange Fliegen, schwimme meine Runden, ab und zu ein dicker Brummer, kleine
Konzerte in lauen Sommernächten und kleine Fröschinnen kommen auch mal vorbei.
Ich hab jetzt meine Ruhe und Heinrich kam neulich mit ein paar schönen
Käferlarven vorbei. He, sagte ich, Heinrich, warum hast du denn jetzt fünf
Eisenringe um die Brust gebunden? Das sah echt cool aus, der Mann fast wie ganz
aus Stahl. Ja, meinte er, das tut dann nicht ganz so weh, wenn sie mich abends
gegen die Wand klatscht…
Über die poetische Ungewißheit des Himmels und die willkürliche des meteorologischen Diskurses - oder: Wenn ich morgens ohne Schirm aus dem Haus gehe, bin ich ein Dichter
Jeder Mensch ist dem Dichter gleich, wenn er den Himmel anschaut, das Wetter wahrzunehmen versucht. Man fühlt Regen und Sonnenstrahlen immer sehr unmittelbar auf der Haut und überträgt dieses Gefühl in seinen Wahrnehmungsapparat, wo es dann – eventuell, falls erforderlich – versprachlicht wird zum Zwecke der inneren Kommunikation mit sich selbst, etwa im Stil wie, nehme ich einen Schirm mit, setze ich eine Kopfbedeckung auf oder nicht. Ganz anders dagegen der Wetterbericht im Fernsehen: Inszenierung eines Betruges. Betrug an der Schönheit der Empfingung. Meteorolgie ist wissenschaftlich untermauerte Glaubwürdigkeit und somit referentiell relativ, somit gefühllos und wenig dem ursprünglich Menschlichen zuzuordnen. Wetter ist nur ein Wort. Gefühl ist mehr. Die Sprache lehrt uns aber, dass wir beides mehr innehaben als wir vermeintlich „denken“. Allein das Wort „wetterfühlig“ weist uns hier einen Weg aus der vorbestimmten globalisierten Medienhörigkeit. Wenn ich „wetterfühlig“ bin, gehe ich über das Empirische hinaus, mein Körper weist mir wieder den Weg aus den Medien hinaus, leitet mich hinaus aus der Matrix der Verstrickungen, aus der Abhängigkeit.
Wir werden niemals wissen, was aus dem Himmel kommt, Regen oder Sonne. Der Dichter beschreibt es immer vorsichtig genug, weil seine Gewissheit dem Urgefühl des Menschen universell gleichkommt. Ganz anders dagegen der Meteorologe, die androgyne Wetterverkaufsfigur im Wetterbericht. Hier wird nicht Wissen sondern pseudo-authentische Glaubwürdigkeit verkauft und inszeniert. Glaubwürdigkeit aber ist nicht gleich Wahrheit. Gefühl ist immer wahr, ist immer Wahrheit. Ob Wetter, Nachrichten oder human interest story, alles ist relativ und referentiell, objektiviert und gruppiert, vorgekostet und abgepackt in sense units, die allmählich und unmerklich den freien Geist standardisieren, benutzbar und milliardenfach verfügbar machen. Identitäten werden identisch, das Individuum geht unter. Am Morgen setzen alle dieselbe Kappe auf, weil sie denselben Wetterbericht verfolgt haben und die Sonne scheint trotzdem immer weiter. Aber gibt es diese Sonne wirklich, oder stammt sie nur aus einem anderen referentiellen System? Für den Dichter gibt es immer nur diese eine Sonne, und sie scheint ihm. Alle Menschen, denen sie scheint, werden in dem Moment zu Dichtern, können das Poetische in sich erkennen, wenn sie in demselben Moment die Unglaubwürdigkeit jenes Wetterberichtes erkennen, der ihnen Regen glaubwürdig und diskursiv-referentiell vermittelt hatte. Jedoch lässt sie die medial-diskontinuierlich gestaltete Welt, in der sie leben, nicht an ihre eigene Wahrheit des Gefühls glauben, ihr eigenes Gefühl kommt ihnen lächerlich vor, sie verneinen den poetischen Moment in sich und werden zu den medienabhängigen Lemmingen, in deren Spiegelbild sie schauen, wohin sie auch blicken.
Es ist einfach. Glaube nicht an das Glaubwürdige, glaube an das, was du siehst, wenn du morgens in den Himmel schaust, und wenn du dann viele Menschen mit Hüten, Kappen und Regenschirmen siehst, du aber unbeschirmt und unbedeckten Hauptes der Sonne entgegenblinzelnd zum Himmel schaust, dann, ja dann bist du ein Freier unter freiem Himmel und könntest grad in dem Moment ein Lied davon singen, das dich davonträgt.